Positionsbestimmung: Information Freedom Rules

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Positionsbestimmung

Information Freedom Rules

„Männer und Frauen such ich, (...) die Freiheit höher schätzen als Ehre, Leben und Profit." 
(frei nach Schillers "Räuber")
„The GNU General Public License is intended to guarantee your freedom to share and change free 
software – to make sure the software is free for all its users." (GNU General Public License)

2006 jähren sich zwei für die digital Wissensordnung richtungsweisende Ereignisse zum zehnten Male. Im Februar 1996 erklärte John Perry Barlow die Unabhängigkeit des Cyberspace. Im Dezember 1996 verabschiedete die UNO Weltorganisation für Geistiges Eigentum (WIPO) in seinem Urheberrechtsabkommen die weltweite Verpflichtung, einen angemessenen gesetzlichen Schutz und wirksame Rechtsmittel gegen die Umgehung technischer Schutzmaßnahmen (DRM) zu schaffen. Zwischen diesen beiden Polen von Freiheit und Kontrolle entfaltet sich seither das Neue, das die medientechnologische Entwicklung ermöglicht hat.

Die digitale Revolution verändert die Produktions-, Distributions- und Rezeptionsbedingungen kultureller Werke grundlegend. An Veranstaltungen, die sich mit Computer und Film, Musik im Internet oder der digitalen Universalbibliothek befassen, herrscht kein Mangel. Die besondere Perspektive der Wizards of OS (WOS) richtet sich auf das freiheitliche Potential dieses Wandels, auf offene Formate, zugängliche Wissensspeicher und freie Kooperationen.

Mit der Zäsur in den medientechnologischen Grundlagen verschiebt sich auch die Bezeichnung für das gesamte kulturelle Feld: von „Kulturindustrie" zu „creative industries", von einem kritischen zu einem affirmativen Begriff, und nicht zufällig von einem deutschen zu einem englischen.

„Alle sind frei, zu tanzen und sich zu vergnügen, wie sie, seit der geschichtlichen Neutralisierung 
der Religion, frei sind, in eine der zahllosen Sekten einzutreten. Aber die Freiheit in der Wahl der
Ideologie, die stets den wirtschaftlichen Zwang zurückstrahlt, erweist sich in allen Sparten als die
 Freiheit des Immergleichen." (Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung)

Für die alten elektrischen Medien beschreiben Horkheimer/Adorno den Wechsel vom Telefon, das den Teilnehmer noch liberal die Rolle des Subjekts spielen ließ, zum Radio, das demokratisch alle gleichermaßen zu Hörern macht, nur um sie autoritär der standardisierten Massenhaftigkeit der unter sich gleichen Programmen auszuliefern

PC und Internet kehren dieses Verhältnis um. Jede Teilnehmerin wird zum „Herstellungszentrum" für potentiell die gesamte Bandbreite symbolischer, d.h. digital kodierbarer Ausdrucksformen. Das Internet erlaubt nicht nur, die kreativen Gegenstände weltweit zugänglich zu machen, sondern auch, sie in bislang undenkbaren, kooperativen Formen gemeinsam zu erstellen und fortzuschreiben.

Wenn die Kosten für Reproduktion und Distribution von Informationsgütern gleich Null sind, müsste ihr Preis nach herkömmlicher Logik in einem Wettbewerbsmarkt ebenfalls Null betragen. Die Antwort darauf gaben die beiden Berkeley-Ökonomen Carl Shapiro und Hal Varian 1999 in ihrem Klassiker zur digitalen Netzwerkökonomie Information Rules: Anbieter sollen den Preis ihrer Informationsgüter nach der Wertschätzung der Kunden bestimmen, statt nach den Produktionskosten. Das führt nach ökonomischer Logik zwangsläufig zu Preisdiskriminierung. Und diese wird heute mit Hilfe der DRM-Kontrolltechnologie, die die WIPO geschützt hat, allseits implementiert.

„We define the creative industries as those industries which have their origin in individual 
creativity, skill and talent and which have a potential for wealth and job creation through the 
generation and exploitation of intellectual property." (Department for Culture, Media and Sport der 
britischen Regierung, 2005)

Das Schlagwort von den „creative industries" soll das revolutionär Neue zu einem Wirtschaftsfaktor verkürzen. In ihm fallen die informatikgestützten Formen von bildender Kunst und Fernsehen, Theater und Werbung, Literatur und Computerspiele, Architektur und Design, Software und Unterhaltung zusammen in einem weltweiten Multimilliardeneuromarkt. Aus individueller Kreativität wird „geistiges Eigentum". Aus Kunst wird „Content". Auf neuer Stufe wird das alte Verhältnis der Kulturindustrie reproduziert.

Wo am WIPO-Pol der Skala Mangel erzeugt wird, um Markt zu ermöglichen, entsteht gleichzeitig am Barlow-Pol ein Wirtschaften aus dem Überfluß. Als „Commons-Based Peer Production" bezeichnet der Jurist Yochai Benkler diese neue Form der Produktivität. Freie Software wie das Betriebssystem GNU/Linux, freies Wissen wie die Online-Enzyklopädie Wikipedia und freie Wissenssammlungen wie das Internet Archive demonstrieren die Macht der konnektiven Intelligenz, die in PC und Internet ihr Medium gefunden hat. Kultur ist Austausch und gegenseitige Inspiration.

„Universal access to all the world's information is technologically possible now; the missing piece 
is the legal infrastructure that will provide the incentives to make such access economically 
viable." (Hal Varian, 2005)

Gemeinfreies und Allmendwissen sind Voraussetzung für Innovation. So viel ist deutlich. Freie kreative Zusammenarbeit schafft nicht nur neue Formen künstlerischen Ausdrucks, sondern auch Wohlstand und damit Anreize für Autoren und Nutzer. Zentrales Element der Infrastruktur für freiwilligen Austausch sind Lizenzen wie die GPL und Creative Commons. Beide sind derzeit in einer Umbruchphase, die aus der WOS 4 ihren Wiederhall finden wird.

Der Bestand an freiem Wissen wächst beständig. Auch die Zahl der Werke, die unter maximalen rechtlichen, technischen und vertraglichen Einschränkungen stehen, nimmt stetig zu. Wird die Welt also digital gespalten in zwei inkompatible Sphären von freiem und unfreiem Wissen, um den Barlow-Pol und um den WIPO-Pol? Was ist Varians fehlendes Element, das den universellen Zugang zu Information ermöglicht?

Ein Teil der Antwort wird anhand der entwicklungspolitischen Ausrichtung der WIPO diskutiert. Auf der global höchsten Regelungsebene zeigt sich, dass nicht mehr, sondern weniger Schutz hilft, Armut zu lindern, Leben zu retten und die globale Kultur zu bereichern. Digitale Inklusion macht diejenigen kreativ, die als Ausgeschlossene die Gesellschaft belasten. Wird sich die Weltgemeinschaft auf Regeln einigen können, die Informationsfreiheiten nachhaltig sichern? Wie verhält sich diese Entwicklung zu anderen WIPO-Projekten wie dem Casting-Treaty?

Auf der nachgeordneten Ebene der Europäischen Union wird dieses Jahr ein zentraler Baustein der digitalen Wissensordnung überprüft, die Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft. Der Spielraum der Nationalstaaten wird zwar immer geringer, doch hier wird die Regulierung des Cyberspace letztlich für den Bürger wirksam. Wo gibt es hier Trends hin zum universellen Zugang?

Unter dem Schlagwort „Web 2.0" bahnt sich eine Neuauflage des New Economy-Hypes der 1990er Jahre an. Entstehen hier privatwirtschaftlich nachhaltige Lösungen für einen zumindest kostenfreien Zugang zu beiterer Information? Welche anderen Geschäftsmodelle um freies Wissen gibt es und wie erfolgreich sind sie? Handelt es sich bei der Ökonomisierung der sozialen Vernetzung und der Kooperation durch Flickr, Orkut, Skype, del.icio.us oder Fon um mehr als die altbekannte Vereinnahmung sozialer Bewegungen durch die Industrie? Und wie sieht es aus, wenn soziale Bewegungen sich institutionalisieren? Gelingt ihnen die Gratwanderung zwischen professionalisierten Gremien und fluiden Netzwerken besser als kollektiven Organisationen in der Vergangenheit?

Unter dem Titel Information Freedom Rules wird sich die WOS 4 schwerpunktmäßig um Ökonomie und Organisation drehen. Freiheit ist vielerorts an der Macht und dort nicht mehr wegzudenken. Welche Regeln braucht es, um sie nachhaltig abzusichern und auszuweiten? Was genau ist die Offenheit und die Freiheit, die wir meinen?

„I am a defender – and more than a defender – a user, an enthusiast of free software and of the 
wide use of the Internet as the means of democratising access to information, in an interactive 
process of exchanging and sharing, which I believe to be the most intense, the most radical, the 
most innovative manifestation of the freedom of thought, of expression and of creation."

Die WOS teilt diese Begeisterung mit dem brasilianischen Musiker, Kultusminister und Botschafter des freien Wissens Gilberto Gil und möchte ihre Teilnehmer anstecken und zur Nutzung und Verteidigung dieses großartigen Potentials der digitalen Revolution anregen.


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